Aber interessant. #1

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“The tradeoff fallacy”, eine US Untersuchung zur Einstellung von Konsument*innen zur Sammlung persönlicher Daten kommt zum vernichtenden Ergebnis, dass die meisten das als unethisch empfinden (und niemand ist erstaunt): 91% disagree (77% of them strongly) that “If companies give me a discount, it is a fair exchange for them to collect information about me without my knowing”. Natasha Lomas nimmt dies in “The online privacy lie is unraveling” zum Anlass, mal verschiedene Gedanken zum Thema zusammenzutragen: “cloud-based technology companies large and small have exploited and encouraged consumer ignorance”. Sie weist darauf hin, dass die ganzen “Gratis”-Plattformen und -Apps aktiv daran arbeiten, bei ihren Usern ein Gefühl der Machtlosigkeit zu erzeugen – “in various subtle ways”. Die endlosen Terms of Service oder überkomplexe gut versteckte Privacy-Einstellungen sind nur die offensichtlichsten Beispiel dafür. Diesen Punkt erwähne ich auch gerne, wenn jemand mir erzählt, dass es doch für diese Firmen echt kompliziert sei, sichere Strukturen und Block- & Meldemöglichkeiten für ihre User gegen Bedrohungen und Trolle einzurichten. Wenn sie ein ähnliches Interesse daran hätten, ihre User zu schützen, wie sie es daran haben, sie auszunutzen, wäre das kein Problem.

Solche erklärenden kritischen Tech-Artikel würde ich mir in der deutschen Presse auch mehr wünschen. Aber vielleicht bekommen wir nur das, was wir verdienen. Eine Tech Presse, die für Social Media Manager, Journalist*innen und Marketingleute gemacht scheint auf der einen Seite, übersetzte Zusammenfassungen von US-Tech-Artikeln einen Tag verspätet, und was kritische Auseinandersetzung anbelangt sind wir – jenseits von Blogs – meist auf jammernde weiße männliche tech-kritische Angstprediger angewiesen. Aktuelles Beispiel ist ein entsetzliches arrogantes Lamentierstück des Kolumnisten Sascha Lobo. “Als Bürger habt ihr versagt”, schreibt er, sich selbst da schon gar nicht mehr dazu zählend, nee, er steht ganz in Checkerpose über den Dingen. Glaubt Der Spiegel wirklich, seine Leserschaft für ihre Passivität angesichts der fraglos ebenso entsetzlichen Digitalpolitik Deutschlands, zu beschimpfen sei effektiver (von “angebrachter” will ich gar nicht erst sprechen) als kritische Recherche zu den Gründen für diese Passivität? Denkt Lobo, Beschimpfung funktioniert als Call To Action? Ich weiß ja, Kolumnen sind billiger zu produzieren als Recherche, aber tbh: Es war selten so befriedigend, das Müllereimersymbol von Pocket zu klicken wie bei diesem Text.

Nur gut, dass es auch Blogs gibt, denn Die Angstgesellschaft” von Thomas Stadler und Wolfgang Michals “Zwei Jahre nach Snowden – warum sich die Überwachungsgesellschaft im Kreis dreht sind Texte, die wirklich daran interessiert sind, die Diskussion zum Thema voranzubringen, statt immer wieder nur vage verbal – aber halt catchy und im Massenmedium – in der Luft rumzufuchteln wie Lobo.

Dass Google nun ein zentrales Dashboard für Privatheitseinstellungen installiert hat, ist für Natasha Lomas ein Zeichen, dass die Begehren der User langsam ernster genommen werden. Auch ich habe derzeit das Gefühl, dass es an allen Ecken und Enden zu brodeln anfängt, wenn es um das Thema Marketing und Datensammeln und Finanzierung durch Werbung geht. Das Thema Adblocking zeigt das auch recht schön. Es gab es in den letzten Monaten aggressive Artikel dagegen von werbefinanzierten Magazinen, die teils soweit gingen, Adblocking als Diebstahl zu diskutieren: Als wenn du in einem Restaurant essen, aber nicht zahlen würdest. Das ist natürlich Quatsch, denn es ist, wie Lomas im eingangs erwähnten Artikel ausführte, kein Deal in gegenseitigem Einverständnis.

Ich finde ja dieses ganze Konzept des werbefinanzierten Journalismus höchst absurd: Firmen stecken unglaublich hohe Summen in einen Werbe-Etat, damit mehr Leute ihr Produkt kaufen. Aus diesem Werbeetat finanziert sich ein großer Teil der Medien, die ihr Produkt umsonst ins Netz stellen, weil sie sonst niemand liest. Das liegt u.a. daran, dass es kein vernünftiges Bezahlmodell gibt, das die Art und Weise wie wir im Netz kreuz und quer durch Nachrichtenseiten und Blogs lesen, bezahlbar macht. Ein klassisches Abo können sich aber die meisten bestenfalls für ein, zwei Medien leisten bzw warum überhaupt, wenn doch alles umsonst da ist und das bisschen Geld, das zur Verfügung steht, schon weg ist, weil die Produkte, die sonst so im Alltag gebraucht werden, so teuer sind. Weil in ihrem Preis der Werbe-Etat mitfinanziert wird. Katze beißt sich in den Schwanz und nach Native Advertising, – also Werbung, die wie ein inhaltlicher Artikel aussieht – ist die nächste Stufe dann, dass Konzerne selber in Medien machen. Der Schritt von einer Verbindung von News und Marketing, wie es omfg-future-of-journalisism-player wie VICE und Buzzfeed News praktizieren, zu Red Bulls Servus TV und RBMA-Website ist ein kleiner. Wenn wir kritischen Journalismus wollen, ist ein so hyper-werbefinanziertes Modell wie es derzeit hochgehalten wird ein höchst fragwürdiges und wackliges Modell, aber wenn du etwas dagegen sagst, stößt du schnell auf eine Filterbubble der Überzeugung: Es gäbe keine andere Möglichkeit der Finanzierung im Netz.

Ich persönlich hoffe ja immer noch auf einen neuen Anlauf in Sachen Micropayment, denn ich denke, dass so etwas wie Flattr vor allem aus uncanny-Valley-Gründen nicht funktioniert hat: einer breiten Masse war das digitale Bezahlen zu dem Zeitpunkt, als Micropayment versucht wurde, noch zu fremd. Die Leichtigkeit dieser Art des Bezahlens von Kleinbeträgen durch einen Klick ging einher mit dem Gefühl, dass dann bestimmt genaus leicht dein Bankkonto gehackt werden könnte. So zuhause fühlten sich die meisten noch nicht im Netz. Warum ich Flattr mag:
Dezentral: Ich zahle direkt auf der Seite, auf der ich den Text lese, so einfach und allgegenwärtig wie ein Facebook-Like-Button.
Individuell anpassbar: Ich muss mir keine Gedanken über den Preis machen, da ich pro Monat einen festen Betrag festlege, den ich mir für Medien leisten will und kann.
Demokratisch: Die Größe der Plattform bedeutet keinen Vorteil – ein Blog-Artikel bekommt von mir genauso viel wie einer in einer großen Zeitung.
Ich fände einen breit aufgestellten Neuversuch mit Flattr heute spannend. Derzeit gibt es kaum Zeitungen, die Flattr verwenden, deswegen kennen es auch wenige. Ein Neustart mit Bezahlmodellen ist allerdings auch ähnlich schwierig wie mit mp3s, da es inzwischen wiederum so eine Flut von Gratis-Online-Lesestoff gibt, dass mein Grundgefühl eher ist, dass ich mit dem Lesen nicht nachkomme. Flut von Texten im Netz vs Geldknappheit bei Medien – das ist auch so eine Dissonanz zwischen der Finanzierungskrise und der Präsenz von Medien im Netz.

Ich bin neugierig, wie sich die frisch gestarteten “iTunes für Zeitungs/Magazin-Artikel” hierzulande durchsetzen werden: Pocketstory und Blendle. Optimal für mich persönlich ist das noch nicht, da mir die internationale Presse fehlt und ich viel auf Englisch lese. Aber interessant. Da der auf mobile Werbung aufbauenden Presse gestern das Herz in die Hose gesunken ist, als Niemanlab darauf hinwies, dass Apple in seiner nächsten Safari-Browser-Version Adblocking erlaubt, und sich der allgemeine User-Missmut gegenüber Werbetracking noch steigern dürfte, hoffe ich aber mal, dass sich step by step solche Finanzierungsalternativen durchsetzen werden oder zumindest eine größere Rolle spielen werden. Dass Apple eine Adblockingmöglichkeit einbaut, darf durchaus als ein ebenso großes Zeichen gesehen werden wie Googles Privacy Dashboard: Entweder dafür, dass zukünftig User-Interessen ernster genommen werden, oder dafür, dass der Kampf um die Aufmerksamkeit der User und um Finanzierungsmodelle die auf dem Tracking von User-Daten basieren, nun mit härteren Bandagen geführt wird.

P.S. “Aber interessant” (bitte in Wolf Haas / Brenner Stimme vorzustellen; ich höre derzeit das durchaus empfehlenswerte “Brennerova” Audiobuch) habe ich mir als Titel dafür ausgesucht, wann immer ich ein paar Medienecho-Gedanken loswerden will und mir kein gescheiter Titel einfallen will (weil alles zu diffus), aber es sich halt mit Titel doch besser bloggt.

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