Gedanken zu Queer Space

“Bigger on the inside” – das ist ein immer wiederkehrender Satz in der britischen TV-Serie Doctor Who. Er bezieht sich auf die Tardis, das lebendige, sich immer wieder verändernde Raum- und Zeitreisegefährt des Doctors. Von außen ist die Tardis getarnt als Police Box, eine Ende des 19. Jahrhunderts in Großbritannien eingeführte und bis in die 1970er präsente Art Mini-Polizeistation, vom Aussehen her eine Mischung aus Telefonzelle und Schrank, aber innen ist sie größer, birgt eine Unzahl von Räumen, niemand weiß wieviele es gibt. “Bigger on the inside”, die Tardis als sich herkömmlichen Vorstellungen von Raum sperrendes Anti-Closet, das kam mir als erstes in den Kopf, als ich über queeren Raum nachdachte. Nicht nur die räumliche sondern auch die zeitliche Präsenz der Tardis passt dazu: Queere Räume sind heute oft nicht nur örtlich, sondern auch zeitlich begrenzt: der queere Stammtisch in wechselnden Kneipen, die queere Party in Clubs, die sonst heterodominiert sind, die queere Kunstperformance. Für die, die ihn frequentieren, sind diese Orte auch “bigger on the inside”: ein entgrenzender, befreiender Raum, der die Grenzen aufhebt, die sie sonst durch die geschlechtlich binäre Heteronormativität unserer Gesellschaft erfahren. Ein gleichgeschlechtlicher Kuss, ein nicht der weiblichen oder männlichen Norm entsprechendes Äußeres, das alles sind Faktoren, in denen wir immer noch ganz alltäglich zurückstecken, um nicht aufzufallen, um keine blöden Blicke oder Sprüche auszulösen, um nicht gemobbt, bespuckt oder verprügelt zu werden. Diese queeren Orte müssen meist gekennzeichnet werden, um als solche wahrgenommen zu werden. Der Heterosexuelle Raum dagegen dominiert, ohne als solcher kenntlich gemacht zu sein, alles. Jede Umarmung bedeutet ein Heraustreten aus der Norm, ein Coming Out, ein Heraustreten aus dem heterosexuellen Raum. Die heterosexuellen Bereiche der Öffentlichkeit, die sich den Queers öffnen, sind meist an Konsum gebunden, ob an die Kaufkraft der privilegierten Queers, oder den an Hoffnung auf Profit verknüpften Wunsch von Diversität: Künstlerisch spannende, kreative Kreise, seit jeher mit einer queeren Szene verbunden, werden so – im doppelten Sinne des Wortes – als das Stadtbild bereichernd empfunden. Das geht allerdings meist mit einem Unsichtbarmachen der Sexualität einher: Der Farbklecks, der einen Stadteil interessanter macht. Sexy Kaufkraft, nicht sexy Körperlichkeit, und oft entstehen Orte daraus, in denen nur wenige partizipieren können, weil der Rest es sich nicht leisten kann. Sichtbar gemacht und geduldet werden nur die dem Stadtdesign entsprechenden Queers, nicht jeder Ausdruck einer queeren Identität ist erwünscht, sondern wenn, dann lieber die, die auch als Heteros durchgehen könnten. Es geht nicht um Diversität der sozialen Gleichstellung willen, sondern um eine gönnerhafte Fake-Offenheit, ähnlich der entsexualisierten schwulen Nebenrolle in zahllosen TV-Serien. Toleranz, nicht Akzeptanz. Toleranz lässt keine Queeren Räume wachsen, Toleranz duldet nur. Wenn Queers sich über die Ausnahmerolle hinaus entfalten würden, wenn die den heterosexuellen Raum bereichernde Exotik wegfiele, dann hätte die gönnerhafte Hand ja keinen Gewinn mehr, keine Kontrolle, sie wäre unwichtig.

Ich habe hier ganz bewusst, erst mal “queer” als Wort verwendet, das die Lesbisch/Schwule/Trans-Szene als alles beschreibt, was von zweigeschlechtlicher heterosexueller Norm und den damit einhergehenden Privilegien abweicht. Daran lässt sich nachvollziehen, wie ausgrenzend Räume sein können, ohne dass dies von der Mehrheit überhaupt wahrgenommen würde. “Queer” ist aber auch ein Begriff, der jede Art von fixer Identitätsbildung hinterfragt, also auch Grenzen von Einkommens- oder Bildungsschicht, Hautfarbe, Herkunft, Alter zu überwinden sucht. Eine Art fließende Anti-Identität, die beschreibt, wie wir uns in jedem Moment neu entwerfen. Damit lässt sich auf einer breiteren, theoretischeren Ebene ein queeres Raumkonzept denken, das einbezieht, dass Räume nicht nur geographisch oder durch örtliche Bedingungen definiert zu verstehen sind, sondern ebenso durch ihre Zugänglichkeit und die Entfaltungsmöglichkeiten, die sie gewähren geprägt sind, was immer auch mit kulturellem, ökonomischem und sozialem Background und Normen zu tun hat. So wie Sexualität mit einer Normierung auf Zweigeschlechtlichkeit, Heterosexualität und Monogamie durchreguliert wird, wird ein entsprechendes Raumkonzept von Grenzen und Kontrolle ausgemacht. Es plant und regelt und verwaltet, was wann wer wo tun soll. Für den öffentlichen Raum einer Stadt heißt das, in kleinen Beispielen gedacht, eine Parkbank hier, eine Absperrung mit Betonpfeilern dort, grelle nächtliche Gebäudebeleuchtung. Kleinigkeiten, die regeln, wo wir uns wie aufhalten. Im Großen: sowas wie im Büro geplante Stadtteilaufwertung. Ein queeres Verständnis von öffentlichem Raum würde demnach eine Kritik an solcher von oben durchregulierender Stadtplanung bedeuten, die keine organische Entfaltung und keine Freiräume duldet, sondern beherrschen will, was wo entsteht. Jeder Flecken, jede Wand: zweckgebunden. Ein Konzept von öffentlichem Raum als Queer Space würde dagegen ständigen Wandel begleiten, ein ständiges Sich-Neudefinieren begrüßen, Diversität als soziales Konzept verstehen, die stete Suche nach dem Anderen betreiben, es willkommen heißen und sichtbarmachen, nicht einebnen, nicht steuern wollen, und: auf allen Ebenen um offene Grenzen bemüht sein. Ein Queer Space wäre nie abgeschlossen, wäre sozialer Prozess, ein unendliches fließendes Versuchsstadium. Ein Queer Space würde verschwinden, sobald er fest definiert wäre.

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Diese Gedanken habe ich mir anlässlich einer Performance von Michael Meier gemacht, die Montag, 17.11.14, in der Kunstvitrine Nürnberg zu sehen sein wird:

violet. a performative study.

Wenn wir sagen, Identität ist nichts Feststehendes, Endgültiges, sondern veränderbar, beutetet dies, dass wir sie als Effekt von Prozess und Performanz sehen müssen. Aber in welchen Strukturen finden diese Prozesse statt und welchen Einfluss haben sie auf uns?
Räume umgeben uns, schützen uns, prägen uns und das Konstrukt, das wir als das Selbst bezeichnen. Ausgehend von der Queer-Theorie Judith Butlers und dem zentralen Begriff „(Un-/)Doing Gender“, fragt die Performance nach der weiteren Definition von „Raum“ und versucht Fragen zu formulieren, die einen Einblick geben, was „Raum“ eigentlich mit uns und unserer Identität zu tun hat.
Is space an extent of a heterosexual dimension?

Performance & Opening
17.11.2014 // 19 Uhr

Ausstellung
18.11. – 07.12.2014

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