Hitler würde Rot-Rot-Grün wählen

In meiner Timeline werden gerade vermehrt empört AfD-Postings geteilt, die sich als “links” geltende Idole herausgepickt und sie mit einem “x würde AfD wählen”-Slogan versehen haben. Das geht von Che Guevara bis Sophie Scholl, letzteres auch noch mit einem Zitat vom Flugblatt 1 der Weißen Rose versehen, und das ist natürlich ein besonders großer Tabubruch.

Im kommenden Wahlkampf werden wir unendlich viel solchen Müll zu Gesicht zu bekommen. Es ist wichtig, dass wir uns davon nicht emotional aufheizen lassen und ihm nicht noch durch Re-Postings als Verstärker und Verteiler dienen. Genau das und die emotionale Aufreibung ihrer Gegner*innen ist der Zweck dieser neu-rechten Social Media Kampagnen. Es ist hilfreich, solche Postings einfach nur technisch zu betrachten: Als methodischen Tabubruch, als provokative Kampagne, aber sich nicht von den Inhalten aufwühlen zu lassen. Es geht hier nicht um Inhalte, es geht hier nicht um ein Wahlprogramm, sondern um Viralität.

Eine internationale internetaffine Neu-Rechte nutzt aus, dass soziale Netzwerke wie Facebook in erster Linie Marketinginstrumente sind. Das bedeutet, dass auf diesen Plattformen am besten gehört wird, wer am provokativsten postet oder wer bezahlt und gesponsorte Inhalte damit gezielt an bestimmte Gruppen verteilen kann. Nicht der lange gehaltvolle Inhalt macht die Runde, nein, der schrille, überspitzte Inhalt. Diese Viralität sozialer Netzwerke wird von der Neu-Rechten ganz bewusst als Taktik genutzt.

Es ist virales Marketing und der Inhalt hat da nicht mehr Wahrheitsanspruch als sonst auch in der Werbung. Es gehört zur Strategie, sich inhaltlich nicht festzulegen. Es werden immer wieder empörende und falsche Aussagen getroffen und oft danach wieder relativiert, wenn sich alle brav darüber aufgeregt haben und der rechte “Brand” wieder in aller Munde ist.

Mein Rat ist: Lieber ruhig die Methode angucken und kommentieren, als sich inhaltlich über all die einzelnen Provokationen jedes Mal auf’s Neue zu empören. Nerven schonen und nicht alles aufgeregt weiterposten, denn es wird ein langer heißer Wahlkampf.

Hier auch mal ein O-Ton Beispiel, wie sich Neu-Rechte das strategisch so denken:


P.S.: Ich verwende hier den Begriff “Neu-Rechte” als Sub-Begriff für rechte Gruppierungen, die internetaffin agieren, die sich post-moderne und linke Begrifflichkeiten aneignen, sowie Taktiken von Marginalisierten, die gegen ihre Ausgrenzung kämpfen. Außerdem ist typisch für sie, dass sie ihrer völkischen Gesinnung mit Begriffen wie ‘Ethnopluralismus’ einen pseudo-neuen Anstrich zu verleihen versuchen. Von der Methode her also quasi “liquid nazis”: Rechte, die sich auf die “flüchtige Moderne” einlassen.
Allerdings ist das “Neu” bei den “Neu-Rechten” genauso mit Vorsicht zu genießen wie das “Alt” bei der “Alt-Right”, denn das, was sie von den alten Rechten unterscheidet, wird nur taktisch eingesetzt, gilt aber in letzter Konsequenz als zu überwinden. Es ist derselbe dumpfe rechte Geist mit seiner Sehnsucht nach einer geschlossenen Volksgemeinschaft, der sich hier hinter einer zeitgeistigen Fassade verbirgt. Aber um mit einem Zygmunt Bauman-Zitat zu enden: “What has been cut apart cannot be glued back together. Abandon all hope of totality, future as well as past, you who enter the world of fluid modernity.”

33 comments on “Hitler würde Rot-Rot-Grün wählen

  1. Der letzte Tatort (Frankfurt) hat das – die smarte neurechte Inszenierung à la Identitäre – relativ anschaulich thematisiert inklusive dem provokanten Verweis auf Sophie Scholl als Vorbild des “moralisch überlegenen” Widerstands. Der Plot an sich war zwar eher mittelgut (wie meistens), aber die Darstellung der verschiedenen rechten Milieus und der beiden charismatischen neurechten jungen Frauen fand ich gelungen.

  2. Ich fand ihn in Ordnung. War mal wieder einer, den man sich anschauen kann, aber nicht muss. Und ein sonderlicher Erkenntnisgewinn ist nicht dabei. Die Differenzierung der rechten Szene ist dargestellt worden. Das ist löblich, aber jetzt kein Kriterium für einen guten Film.

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  • Stephan Hörhammer

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