Plakate zwischen Kommen und Gehen

Über den Drahtseilakt zwischen Idealismus und Selbstausbeutung, Freiräumen und Stadtplanung, Subkultur und Kreativwirtschaft

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Dieser Text ist zuerst in “WILDE PLAKATE – ein Zine über
Design für Subkultur und Musikszene” von Philipp Dittmar alias Nanuk erschienen, dass hier in Printform erhältlich ist.


Im Plakat treffen viele der scheinbaren Widersprüche einer kulturellen Szene aufeinander, als ein Teil derer ich mich fühle: Subkultur, Alternativkultur, Underground, Avantgarde, linke Szene, DIY Punk, Popkultur… So richtig greifen lässt sie sich heute schwerer denn je, schwingt doch in jedem dieser Begriffe die längst erfolgte Widerlegung als inkonsequent, als Unmöglichkeit, als romantisch verklärt usw. schon mit. Wir sind gegen Profitorientiertheit, unterliegen aber doch monetären Zwängen. Wir verstehen uns als Eigenentwurf, und sind dabei doch stets schon in etwas geworfen. Wir nehmen uns künstlerische Freiheit heraus und unterliegen doch auch Einschränkungen. Wir wollen alles neu erfinden, aber auch, dass wir wiedererkannt werden. Wir wollen Abgrenzung, einen Hauch Privatheit, Intimität, aber stehen im Öffentlichen. Sind öffentlich. Zukunft und Vergangenheit, Fixieren und Vergänglichkeit, Konsens und Individualisierung. ›Scheinbare‹ Widersprüche nenne ich das, weil sie eher vibrierende Pole sind, in deren Spannungsfeld sich immer wieder neu zu verorten gerade das Spannende an dieser Szene ist.

Das Plakat als Nostalgie, eine Szene als sicherer Hafen

In dieser Kultur gibt es viele Plakate, die eine über Jahrzehnte erhaltene Ästhetik reproduzieren. Das hat zwar einen hohen Wiedererkennungswert, aber steht eher für die nostalgischen Teile unserer Szene: Konzerte oder Parties, bei denen es eher um Rituale einer in Musik gebetteten Community geht, als um Musik, die herumexperimentieren und sich neuerfinden kann, weil sie in eine Community gebettet ist. Es wird ein sicherer Hafen gesucht, der zwar jenseits des Mainstreams steht, aber diesen gleichzeitig braucht, als etwas von dem sich abgegrenzt wird, denn sonst würden diese kleinen Szenen ja gar nicht als Gegenentwurf funktionieren. Eine langlebige und liebevolle Version davon ist der Teil der DIY Punk- und Hardcore-Szene, der seit Jahrzehnten mit kopierten Collagen-Artworks arbeitet und der sich auch am konsequentesten über die Jahre als Gegenentwurf zu allem, was Mainstream ist, behauptet: Es ist eine wunderbare Community mit einem einzigartigen weltweiten dezentralen, auf Vertrauen basierenden Underground-Netzwerk, in dem Musik wie graphische Ästhetik sich dem Wiedererkennungswert und einem Low-Budget Konsens unterwerfen.

Daneben gibt es aber auch Plakate, die sich auf unsicherere Pfade wagen und neue ästhetische Strömungen aufnehmen oder prägen. Das sind die, die mich hier mehr interessieren. Ihnen wohnt eine Ungewissheit inne, da sie von einer bestehenden Community wegweisen, sich immer wieder eine neue suchen. Eine Unsicherheit, denn es ist stets unklar, wer sich durch die Abgrenzung von Gewohntem angesprochen fühlen wird.

Ein Drahtseilakt zwischen Zweck und Kunst

Diese Plakate erweisen sich nur widerstrebend als Werbung, sie gehen ästhetische Experimente ein, stemmen sich gegen das Eingängige, sind widerborstig. Plakate gehen hier oft einher mit den Ecken der experimentellen Musik und den Club-Nights, die Grenzen des Gewohnten austesten, dabei aber doch rüberzubringen verstehen, dass es sich an Menschen richtet, die einander neben ihrem Musikgeschmack auch durch gewisse Ideale verbunden sind: ein linker Grundkonsens von Antirassismus, Antisexismus, Antihomophobie und auch Antikommerzialität und Antiautorität in verschiedenen Graden. Neben der Musik sind Plakate die kreativen Punkte, an denen um neue Ausdrucksformen oder neue Varianten von Vorhandenem gerungen wird. Punkte, an denen kulturelle Strömungen neu zusammenfinden.

Dabei balanciert das Plakat auf dem Seil zwischen Zweck und Kunst: Entfernt es sich zu weit vom Zweck, wird seine Botschaft zu kryptisch, dann verliert es einen Teil seines Wertes, der ja per Definition an den Zweck gebunden ist: auf eine Veranstaltung hinzuweisen. Aber es will mehr sein als bloße Information.

Nirgends wird die künstlerische Freiheit, mit der du die Ästhetik deiner Musik- und Soziokultur mitprägst so groß sein wie in dieser Subkulturszene, denn Verkaufen ist hier nicht das Hauptanliegen. Aber auch wenn die Kaufanregung nicht der Hauptzweck des Plakats ist, bewegst du dich nicht frei von monetären Zwängen. Wenn du so abstrakt wirst, dass niemand zur Show oder Club-Night kommt, bleibst du selbst auf niedrigen Kosten sitzen. Diese Pole, zwischen denen das Plakat balanciert – Zweck und freier künstlerischer Ausdruck – lassen sich auf zwei Pole übertragen zwischen denen sich diese Subkulturszene erstreckt: Auf der einen Seite jene, die sich aus Idealismus ehrenamtlich für ihre Kultur engagieren, und auf der anderen Seite jene, die sich mit kreativer Arbeit in dieser Szene ihren Lebensunterhalt verdienen wollen.

DIY-Kultur und Kreativ-Kultur als gegensätzliche Idee

Mit der Desillusionierung von kritischer linker und Jugendkultur Ende des letzten Jahrhunderts – in Nürnberg durch die städtische Übernahme des selbstverwalteten KOMM und dessen Neueröffnung als K4 /Künstlerhaus als Ende, oder doch grundlegende Beschneidung der Soziokultur sogar mit einem geographischen Symbolort im Herzen der Stadt verbunden – ging einher, dass die Grenzen zwischen privatwirtschaftlicher, städtischer und Non-profit DIY-Kultur fließender wurden. Verschiebungen im Arbeitsmarkt haben dazu beigetragen: Der kreative Bereich wurde als zukunftsweisend und sprühend vor Freiheit und finanziellen Verheißungen gefeiert. Damit ging einher, dass plötzlich immer mehr Dinge in einer Szene für Geld gemacht wurden, die vorher ganz selbstverständlich umsonst geleistet wurden. Wenn ich schon Arbeit in ein Fanzine stecke, dann will ich auch wenigstens Gratis-Musik zurückbekommen, von Promos bis Gästelistenplätze. Wer etwas macht, was jemand anders als Job macht, ohne Geld zu verlangen wird verdächtig – Selbstausbeutung, unlauterer Wettbewerb, der Neid beginnt im Kleinen.

Auch die Etsyfizierung ist ein Teil davon: Craftism wurde durch Verkaufsplattformen wie Etsy schnell von einem Bereich der Selbstverwirklichung oder des kreativen Auslebens zu einem Wirtschaftlichen. Und wer kann nicht ein paar zusätzliche Euro brauchen? Aber was passiert mit der Kultur durch solche Verschiebungen? Mir ist es wichtig, DIY-Kultur und Kreativ-Kultur als zwei gegensätzliche Ideen zu begreifen, denn ohne sich diese Abgrenzung bewusst zu machen, ist weder Kritik noch Selbstverständnis wirklich möglich. Genauso wie ich das Plakat als den immer wieder neuen Versuch empfinde, Zweck und künstlerischen Ausdruck zu vereinen, bleibt mein Underground-Kulturansatz der immer wieder erneute Versuch, sich zwischen den Polen eines künstlerisch hoffnungsvollen kritischen Idealismus und eines künstlerisch konservativen Pragmatischen immer so weit wie möglich links, also bei der DIY-Kultur, zu verorten.

DIY Kultur – Idealismus auf Kosten der Kunst?

Die DIY-Kultur als der idealistischere dieser Pole, muss sich aber eingestehen, dass monetäre Zwänge nicht verschwunden sind, nur weil jemand die Plakate für umme macht, nur weil eine Band einwilligt, für Spritgeld zu spielen, nur weil die DJs kein Geld für’s Auflegen verlangen, nur weil Leute umsonst kochen und Einlass und Theke machen. Kosten für Raummiete, Nebenkosten, GEMA, KSK sind meist trotzdem da. Arbeit ist nötig, um die Räumlichkeiten und Technik instandzuhalten, sauber zu halten. Eine Szene, die ihre Veranstaltungen möglichst auch allen zugänglich machen will, die wenig Geld haben, und deswegen niederpreisige Eintritte verlangt, hat auch nur wenig Geld, um Leute für ihre Tätigkeiten zu entlohnen. So unelitär wir auch sein wollen, wird in einer DIY-Szene doch gerne unsichtbar gehalten, dass es sich Leute ja erst mal leisten können müssen, ohne Entgelt viel Zeit in etwas zu stecken. Wir leben in prekären Zeiten und die Freiheit für diese Art der kulturellen Entfaltung ist stärker begrenzt – ebenso wie der Geldbeutel derer, die Veranstaltungen besuchen.

Die Entscheidung, für welche Tätigkeiten bezahlt wird und für welche nicht, zeichnet ein Bild vom Kunstbegriff der Szene: Die Möglichkeit zum kreativen Ausdruck wird schon als Bezahlung genug gesehen, die freie Entfaltung, der Status des Künstlers, der Künstlerin. Dementsprechend sind lokale Musiker*innen, DJs und Plakatgestaltende oft nicht oder marginal bezahlt, während das, was die Veranstaltungsinfrastruktur zusammenhält, als ›richtige‹ Arbeit begriffen wird und entlohnt wird: Gastronomie, Einlass, Technik, Orgastelle etc. Das macht zum Teil auch Sinn, da es ja tendenziell eine angenehmere Tätigkeit ist, ein Plakat zu gestalten als spätnachts mit Betrunkenen am Einlass zu diskutieren oder Getränkekästen herumzuwuchten. Andererseits stellt es einen ausgrenzenden Mechanismus dar: Wer es sich nicht zeitlich leisten kann, neben ihrem Broterwerb und der Zeit, die sie in der und für die Szene verbringt, stundenlang über Plakatentwürfen oder Musik zu brüten, ist raus. Wer wiederum lieber Gastro-Jobs in der Subkultur als Nebenerwerb macht, ist drin.

Wer ein paar Euros mit Bar-DJing verdient, und sei es nur, um die Musik mitzufinanzieren, die sich zum Auflegen gekauft wird, kann dies oft nicht in der eigenen Szene tun, sondern muss es in kommerziellen Bars nebenbei tun. Diese sind froh, auf diesem Weg das soziale und kulturelle Umfeld der DJs in ihre Location zu ziehen, quasi ihre Bar mit dem Underground Chic der DJs zu branden, ohne sich auf die politischen Bedingungen und Ideale von Szenen einzulassen, aus denen diese kommen. Es entsteht eine gewisse Beliebigkeit, wer wo welche Kultur betreibt und geographische Orte verlieren ein Stück weit ihre Funktion als Szene-Identifikationspunkte. So erschwert das DIY-Kulturverständnis, eine Szene zu bauen, in der es kein Luxus ist, dass Leute dort ihre eigene Kultur in Form von ästhetischen Outputs genau so weiterentwickeln können, wie dort ständig an organisatorischer, politischer und gastronomischer Arbeit geschraubt wird. Kulturelle Nachhaltigkeit im Sinne eines langlebigen Konzepts und alternativen Entwurfs müsste anders aussehen.

Letztlich ist das, was die Szene beschneidet, genau das, was sie kulturell so toll macht: das Soziokulturelle. Der Mut Neues auszuprobieren, die Fuck-it-Attitüde, das Gefühl nichts zu verlieren zu haben, und gleichzeitig das rückenstärkende Community-Gefühl, das auch oder gerade die Schwächeren, anderswo Marginalisierten, berücksichtigt. Beides zusammen macht erst den richtigen Mut, schafft den Freiraum um sich Auszuprobieren, um Kunst auszuprobieren, und auch immer wieder antiautoritäre Entwürfe. Hier gehört der Prozess, wie Veranstaltungen gemeinsam entschieden und organisiert werden zur Kultur dazu: Dass alle die Kultur mitprägen können ist ihr tragender Bestandteil. Würden alle Tätigkeiten entlohnt, hielte eine Bezahllogik mit ihrer ganzen Ellbogenethik den Einzug in die Subkultur. Das ist ein Diskussionspunkt, der auch in anderem und größerem Rahmen letztlich immer wieder bei der Notwendigkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens als Basis für eine Kultur landet, der es möglich ist, sperrig oder kritisch zu sein, und sich trotzdem entfalten zu können.

Kreativwirtschaft – von der Unmöglichkeit Kunst zu machen ohne Nein zu sagen

Vom anderen Ende oder Pol her kommt über das staatlich und städtisch forcierte Aufboomen der Kreativwirtschaft immer mehr die Meinung hereingespült, dass der Idealismus nur ein Schönreden der Ausbeutung sei. Eigentlich mache man doch dasselbe, und es sei doch letztlich fast unlautere Konkurrenz, wenn Leute ihre Kulturarbeit gratis verrichten. DIY-Kultur als Lohn- und Preis-Dumping verstanden. Letztlich begreift diese Ecke der ›Kreativen‹ die soziokulturelle Szene nur als einen weiteren Bereich unserer Gesellschaft, in dem noch Geld zu holen ist und Jobs geschaffen werden können, ohne einen Gedanken darauf zu verwenden, dass dies die Kultur, die gemolken werden soll, auch verändert.

Um ein geflügeltes Wort von Bruce Sterling zu zitieren: »What happened to music will happen to everything.« Vor Jahren schon begannen um Musiker*innen immer mehr Jobs zu wuchern: neben Labels und Studios vermehrten sich auch die Bookingagenturen. Es wuchs ein System heran, indem Musik-Acts, um halbwegs bekannt zu werden, noch vor dem ersten Album schon Promoagenturen, Management, Grafikerin, Fotografen, Videoproduzentin, eigene Tourtechniker und was weiß ich alles brauchen. Sie alle wollen mitbezahlt werden. Damit wächst der Druck, Kunst zu schaffen, die gefällt, die möglichst viele anspricht – die gefällig wird.

Kultur leidet unter dem Anspruch, auf Gewinn und auf hohe Besucherzahlen hin arbeiten zu müssen, da können abgebrühte Kulturbiz-Zyniker noch so oft abwinken. Je mehr heute von Kreativität gesprochen wird, desto weniger hat sie tatsächlich Freiheit und Raum in der Musik und Ästhetik, und desto mehr steht sie unter dem Druck, sich in eine Richtung zu entwickeln, mit der sich mehr Geld für Künstler*in und für immer mehr Menschen in der sie umgebenden Job-Blase heranschaffen lässt. Social Media Management – statt sozialem und kreativem Austausch kommt Lobbyarbeit aka Kontakte pflegen mit Menschen, die man irgendwann mal brauchen kann, Inszenieren eines Images, der dauernde Kampf um Aufmerksamkeit des Publikums… Auch all das ist Teil dieser Art von Kultur, bedingt sie, prägt sie. Als Entertainmentbranche begriffen, hat das seinen Platz. Spannende Kunst kommt dabei seltenst heraus. Wenn große Teile von Kultur heute in Sponsoring flüchten, um Geld zu verdienen, braucht sich niemand vorzumachen, dass dabei kritische oder dissidente Kunst herauskommen könnte. Es ist eine Branche, keine Szene. Weniger eine kulturelle Strömung, als eine funktionale Design-Strömung.

“But does it scale?” als kulturelles Credo

Grenzen auszutesten ist hier nur als aufmerksamkeitserregender Impuls gefragt, nur wenn es publikumswirksam ist oder dem Image den gewissen Touch verleiht. Es geht um Ellbogen, Durchsetzungsvermögen, Zwecknetzwerke, in denen alle nur so lange mitmachen, wie für sie was dabei rausspringen könnte. »But does it scale?« als kulturelles Credo. Idealismus, Sperrigkeit und Communitydenken werden als naiv und als Selbstausbeutung gebrandet und belächelt. Langwierige Aufbauarbeit, die keinen persönlichen Gewinn verspricht, wie eben zum Beispiel in Aufrechterhaltung einer langwährenden alternativen Veranstaltungsinfrastruktur zu setzen, hat da keinen Platz, ist langweilig. Der typische geographische Ort dieser kreativen Kultur ist die Off-Location mit Abbruchcharme. War sie einst für linke DIY-Kultur, britische Warehouse-Raves oder für alles mögliche im Umbruchs-Berlin Ende des letzten Jahrhunderts noch ein tatsächlicher Nischenort, weil es an anderen erschwinglichen Möglichkeiten mangelte, zehrt heute längst alles mögliche von hippen Techno- oder Experimentalmusik-Events bis zu PopUp-Stores von einer Leerstandsromantisierung.

Plakate im öffentlichen Raum: Eine Landkarte der Subkultur

Apropos geographischer Ort: Jener der Plakate, der öffentliche Raum, bietet immer weniger Luft für die der idealistischeren Variante, der DIY-Kultur, des Undergrounds. Längst kann nicht mehr frei plakatiert werden, sondern nur an bestimmten Stellen. Verstöße werden teuer geahndet. Offizielle Flächen auf großen Plakattafeln, Litfasssäulen oder Sandkästen werden unverschämt teuer vermietet. Einerseits eine Crux, weil es diese alternative Kultur noch unsichtbarer macht und ihr Überleben noch schwieriger. Andererseits gibt es aber in dieser Szene Solidarität, und kleine Läden und Gaststätten oder Cafes bieten Platz für Plakate der Szene, als deren Teil sie sich sehen. Gerade bei den experimentelleren Plakaten ist ihre Zugehörigkeit zu einer Szene oft allein durch den geographischen Punkt erkennbar: die Venues, in denen die Veranstaltungen dazu stattfinden und die Orte, an denen sie im öffentlichen Raum zu sehen sind. Was wo hängt – das trägt zur Verortung des Plakats, der Veranstaltung, der Ästhetik in einer Szene bei. Nicht nur das Medium, auch der Ort des Plakats ist die Botschaft. Der teuer erkaufte, für viele unerschwingliche Plakatierplatz auf einer Litfasssäule oder einer Plakatwand erzählt davon, dass der Veranstaltende sich den Platz leisten kann, ebenso wie der Platz an der Tür eines kleinen Szene-Ladens oder einer Kneipe, oder an einer Straßenlaterne eine andere Geschichte erzählt: Es geht bei den Plakaten der Subkultur stets auch darum, im öffentlichen Raum einen Konsens der Freaks, wie ich sie mal liebevoll nennen möchte, herzustellen und sichtbar zu machen. Wenn nicht im Internet, dem anderen Zufluchtsort nach dem Verschwinden des freien öffentlichen Raums, ist der Ort der kulturellen Avantgarde immer noch eher die Straßenlaterne oder die Szene-Toilette als eine offiziell ausgewiesene bezahlte Plakatfläche.

Das wurde längst von Szene-Externen aus der Privatwirtschaft erkannt, Stichwort Guerilla-Marketing. Der Chic des Underground will mitergattert werden, sei es über ein Zigarettenmarke, die sich die Ex-Quelle als Kulturinsel aussucht, ob Urban Outfitters die charmante Schmuddelplakatecke am K4 übertapeziert, oder ob sich im Club deines Vertrauens zwischen Antifa- und Szeneaufklebern plötzlich auch welche von einem teuren Shop für limitierte Desginer-Sneaker finden. In Nürnberg sind das noch eher Ausnahmen.

Hier stecken Plakate im Großen und Ganzen immer noch die Subkultur-Szene im öffentlichen Raum ab, bilden ein Netz von Landmarken. Das Plakat ist nicht nur Ausdruck dessen, der oder die es gemacht hat, wie Musik es ist, und es ist doch auch nicht nur Werbung. Es ist auch ein Stadtplan, der die losen soziokulturellen Zusammenhänge einer Stadt erzählt. Der die Tageswelt der kleinen Läden, der Straßen in alternativeren Stadtteilen, der die Welt außerhalb der Clubs der DIY-Kultur mit diesen verbindet. Wenn in einem Ladeneingang ein Plakat hängt, wird dessen Zugehörigkeit zur Szene sichtbar. Plakate schaffen eine kulturelle Landkarte, die oft nur für Zugehörige dechiffrierbar ist und die diese Szene auch prägt. In ihrer Semi-Legalität stellt sie auch einen kleinen Ausbruch dar, oder naja: zumindest ein Kratzen an der Tür des Erlaubten – ein Erinnern daran, was öffentlicher Raum einst war, bevor die Stadtplanung und Privatisierung so massiv zuschlug.

Das Plakat steht für einen liquiden Kulturentwurf, es bleibt ständig in Bewegung

Diese Landmarken, die Plakate der Subkultur im öffentlichen Raum einer Stadt, verändern sich ständig, mit jeder Veranstaltung, die plakatiert wird und mit neuen ästhetischen Wegen, die gegangen werden. Das Plakat lebt vor allem als Zukunft oder als Vergangenheit: Als Hinweis im öffentlichen Raum auf eine Veranstaltung, auf ein Ereignis, das erst noch stattfindet, als Verführung zu etwas. Dann verschwindet es oder existiert als Erinnerung im privaten Raum weiter, als ein Andenken an eine Veranstaltung an der Zimmerwand, als nostalgischer, musealer Gegenstand. Es gibt inzwischen einige Künstler*innen, die speziell für diesen Zweck Plakate machen, die dann oft nicht mal mehr als Werbung im Vorfeld hängen, sondern am Merchsstand der Band erworben werden können. Der eigentliche Ort des Plakats ist aber der öffentliche Raum, in dem es sich durch seine Vergänglichkeit auszeichnet. Es ist quasi per Definition ephemeral, flüchtig, und bildet gerade in dieser Eigenschaft die Lebendigkeit einer Szene ab, die sich immer wieder neu erfinden muss, weil sie immer wieder vereinnahmt wird und werden wird, und sie sich immer wieder ihren Raum erkämpfen muss, um die Grenzen ihrer immer kleiner werdenden Freiheiten ringen muss. Durch Stadtplanung, durch Sicherheitsbeschränkungen, durch ein gestörtes Ruhestörungsverständnis, durch finanzielle Engpässe in einer von sozialen Kürzungen im Rahmen einer Sparpolitik geprägten Gesellschaft, die nicht-profit-orientierte Kultur kaum mehr als wertvoll erachtet. So steht das Plakat für einen Kulturentwurf, der ständig in Bewegung bleiben muss. Indem sie die Flüchtigkeit umarmt, indem sie ihre ständige eigene Veränderung als Qualität begreift, statt daran zu resignieren oder gar zu verzweifeln, umarmt diese Kultur ihre eigene Unmöglichkeit im gegebenen kulturellen Klima: ein liquider Kulturentwurf an der immerwährenden Arbeit mit Raum und Form und Inhalt.

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